Dieter Sorg
Ein Glasbläser lernt nie aus
Glasapparatebauer Dieter Sorg war 49 Jahre in seinem Beruf tätig. In diesem Bericht erzählt er über das Arbeitsleben im Osten Deutschlands vor und nach der Wende. Der vielseitig interessierte 73-jährige Fachmann trägt die Begeisterung für seinen auserwählten Beruf sowie nach wie vor noch immer etwas hinzulernen zu können, bis heute in sich.
Portrait (VDGN 3/2021)
Vom Glasmacher-Großvater zum Glasapparatebauer
Mein Großvater war Glasmacher in der Stützerbacher Glashütte. Als ich fünf Jahre alt war, schaute ich ihm das erste Mal bei der Arbeit über die Schulter. Staunend betrachtete ich das Feuer im Ofen und seine Hände, die mit viel Geschick das heiße Glas formten und die verschiedenen Teile aneinandersetzten. Der Beruf des Glasmachers erschien mir sehr hart und etwas eintönig, deshalb orientierte ich mich später in Richtung Glasbläser. Etliche Angehörige meiner Verwandtschaft waren direkt mit der Glasbläserei verbunden, daher war für mich schon bald klar, dass ich die Tradition fortsetzen würde.
Frisch aus- und viel dazugelernt
Nach meiner Ausbildung im Februar 1967 wurde ich Glasapparatebläser im VEB Glaswerk Stützerbach. Dort waren etliche Glasbläser aus meiner weiten Verwandtschaft beschäftigt – darunter auch der Ausbildungsmeister –, und ich versprach mir dadurch, auf sicherem Weg ein vielseitiger und guter Glasbläser zu werden. Übrigens, bis Mitte der 70er gab es im Glaswerk noch eine Hüttenpfeife. Morgens, 10 Minuten vor Arbeitsbeginn, dann genau zu Arbeitsbeginn und mittags, kurz vor Pausenende, pfiff das Ding durch den ganzen Ort. Wer diesen Pfiff verschlafen hat, muss schon sehr müde gewesen sein.
Die finanzielle Seite spielte anfangs eine untergeordnete Rolle, obwohl ich hörte, dass an anderer Stelle im Ort mehr verdient wurde. Als frisch gebackener Familienvater wurde ich von Mai 1974 bis Oktober 1975, mit 26 Jahren zur NVA (Nationale Volksarmee) für den Ersatzdienst bei der Bereitschaftspolizei in Meiningen einberufen. Dort erhielt ich gerade mal 1/5 meines vorher verdienten Gehalts. Finanziell für eine junge Familie eine schwere Zeit. Als ich wiederkam, stand mein Entschluss fest, aus Stützerbach fortzugehen. Ich wollte mehr von der Welt sehen, besser wohnen und gut verdienen. Mein ehemaliger Lehrmeister gab mir den Tipp, mich bei der Akademie der Wissenschaften in Dresden zu bewerben. Dort suchten sie dringend einen neuen Glasbläser im Kernforschungsinstitut Rossendorf.
Ich bekam die Stelle, eine gute Wohnung und ein ordentliches Gehalt. Damit begann eine wunderbare Zeit. Wir waren zeitweise sechs Glasbläser und bauten mit Wissenschaftlern und der neusten Technik an den Geräten. In die Kernforschung flossen enorme Gelder und teure Materialien. In Stützerbach hatten wir von den geräuscharmen Gebläsen aus Westdeutschland geträumt, hier war all das Realität. Wir trugen weiße Kittel und setzten uns zum Essen an den weiß gedeckten Tisch.
Es war eine andere Welt.
Überwiegend fertigten wir Glasgeräte für die Isotopenproduktion und die Medizin. Es gab viele Hochvakuumanlagen, die auch vor Ort, direkt in den Laboratorien, mit Handbrennern repariert werden mussten. In der Werkstatt arbeitete man gerne, um Spannungsschäden bei den komplizierten Geräten zu umgehen, in den heißen Ofen hinein oder nutzte diesen zum Warmhalten der Glasgeräte, um sie weiterverarbeiten oder reparieren zu können. Auch stellten wir in einem speziellen Ofen Fritten von verschiedenen Größen und Körnungen her. Die Sicherheitsansprüche für die Glasteile waren enorm, bedingt durch den Einsatz der Geräte im radioaktiven Bereich. In den Laboratorien verfolgten wir die Funktionen der Glasgeräte und schlugen den Wissenschaftlern eventuelle Verbesserungen vor.
Damals wie heute einfach riesig
Das heutige Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf wurde als Forschungszentrum Rossendorf im Jahr 1992 gegründet. Der Standort blickt jedoch auf eine mehr als 50-jährige Geschichte zurück und war damals schon riesig und mitten im Wald gelegen. Die Glasbläserei dort existierte von Beginn an. Anfang der 70er Jahre wurde eine große zügige, moderne Werkstatt mit rund 8 Arbeitsplätzen gebaut. Für die damalige Zeit nun sehr modern eingerichtet, besaß sie sogar einen separaten Quarzglasbereich. Etwas ganz und gar besonders. Unser ehemaliger Abteilungsleiter -ein Thüringer- war damals bereits über 70 Jahre alt und brachte einen großen Erfahrungsschatz in der Glasverarbeitung in der Atomforschung aus Suchumi in der Sowjetunion mit.
Die Rückkehr
In der Dresdener Zeit lernte ich viel, doch nach sechs Jahren kehrte ich aus familiären Gründen wieder nach Thüringen zurück. Ein direkter Wohnungstausch nach Ilmenau vereinfachte die Sache. Ich fing wieder im Glaswerk an, mittlerweile hieß es Kombinat VEB Werk für Technisches Glas Ilmenau und hatte über dreitausend Beschäftigte. Durch meine vielseitigen Kenntnisse konnte ich mich schnell einarbeiten. Einige der aufwendigsten, herzustellenden Geräten waren Kolonnen mit Vakuummantel oder Vakuumumlaufverdampfer.
Nach dem Mauerfall hatten es viele Glasbläser schwer. Etwa dreiviertel der Arbeiter des Kombinats wurden entlassen, viele wechselten danach den Beruf. Ich hatte Glück, dass ich an einem Projekt zur Entwicklung von speziellen Energiesparlampen beteiligt war. Es handelte sich um die Herstellung der Glaskörper für bifilare Glühlampen. Dazu wurde ein Leuchtstoffröhrenglas, z.B. 40 cm lang Durchmesser 12 mm mit der Flöte erhitzt und aus der Mitte heraus um einen Metalldorn gewickelt. Der Wickelvorgang vollzog sich anfangs halbmanuell und dauerte ca. 3 Sekunden. Unser Patentantrag wurde später jedoch nicht angenommen.
1995 fing ich bei der Ilmenauer Firma Neubert-Glas an, ein damals relativ kleiner Betrieb, der dringend Leute suchte. Zu dritt produzierten wir kleine Stückzahlen. Für mich war die Arbeit interessant und vielseitig. Durch meinen breiten Erfahrungsschatz konnte mein Chef sein Produktionsprogramm wesentlich erweitern. Mittlerweile ist die Firma ordentlich gewachsen und pflegt auch einen Onlinevertrieb
Menschen Freude machen
Über den von mir gewählten Beruf kann ich heute sagen: Die Arbeit mit dem jahrtausendealten und ständig verbesserten Werkstoff Glas war vielseitig und erfüllend. Ehrenamtlich bin ich zusammen mit einem Kollegen seit rund 10 Jahren im Goethemuseum Stützerbach tätig. Dort gibt es eine kleine Glasbläserei, mit einem über 100 Jahre alten Glasbläsertisch. Hier machen wir Vorführungen für Familien und Kinder. Wir fertigen Weihnachtskugeln und Ostereier, die dann per Hand bemalt werden und gehen oft und gerne auf spezielle Sonderwünsche ein. Zudem können die Besucher über einen dünnen Blasschlauch das vom Glasbläser erhitzte Glasstück aufblasen.
Der Glaskunstzirkel, eine vielseitige und wertvolle Einrichtung
Da wir mit dem Goethemuseum bei Kunst, Kultur und Menschen Freude machen angekommen sind, möchte ich zum Schluss noch einmal einen kleinen Blick in die Vergangenheit präsentieren, denn auch damals gab es eine sehr wertvolle Einrichtung, die Menschen Freude machte und zugleich künstlerisches Geschick förderte. Im Kombinat Technisches Glas Ilmenau, und teilweise auch schon in Dresden gab es einen Kunstglaszirkel. Nach der Arbeit bekam man als Glasapparatebauer die Chance künstlerisch tätig sein zu können. Rohmaterial und Brenner wurden den Glasbläsern zur Verfügung gestellt. Vorrangig ausgerichtet war die Erschaffung des Zirkels in Rossendorf für Laien (z.B. Chemielaboranten), die einen praktischen Einblick in das Handwerk bekommen wollten. Sie konnten sich hier von Glasbläsern etwas beibringen lassen. In Ilmenau stand damit der Ausbau künstlerischer Fähigkeiten im Vordergrund, sowie die damit einhergehende Förderung der Kunstgüterproduktion. Denn die Kunstwerke wurden vor Ort verkauft und einen kleinen Teil des Erwerbs konnte man für sich behalten. Da es damals in der DDR kein großes Angebot an Kunstgegenständen gab, erfreute sich so ein Kunstglaszirkel großer Beliebtheit.7
Wissenschaft und Technik benötigen die Produkte des Glasbläsers seit fast zweihundert Jahren dringend. Ich selbst und etliche meiner Ahnen sowie viele Glasbläserfamilien in Thüringen haben daran ihren Anteil.
Und das fühlt sich gut an!
Anhang zum Bericht
Die Redaktion wurde auf Herrn Dieter Sorg durch die Thüringer Wald Broschüre
-Handwerk erzählt- aufmerksam und freute sich sehr darüber.
„Thüringer Wald Handwerk erzählt – Zwischen Tradition und Zukunft“
Ein Erzählprojekt von Rohnstock Biografien,
gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für die fünf neuen Bundesländer.
In dieser Broschüre liegen die persönlichen Geschichten der Handwerker vor. Sie künden von ihren Werten, von Fleiß, Sorgfalt und der Liebe zu ihrem Material. Darin steckt auch die Zeitgeschichte der letzten sechzig Jahre. Nirgendwo anders erlebten die Verantwortlichen dies so intensiv, wie im Thüringer Wald. Nach der Wende, als es in den 2000er-Jahren kaum noch Arbeit gab, zogen junge Handwerker in die Welt, andere mussten sich neu orientieren. Um nicht nur die jüngeren Erfahrungen, sondern auch das jahrhundertealte Wissen der Handwerker festzuhalten, wurde das Projekt »Handwerk erzählt – Zwischen Tradition und Zukunft« initiiert. Alle Geschichten wurden in Erzählsalons gesammelt
Katrin Rohnstock
Entwicklerin und Leiterin
des Projekts »Handwerk erzählt – Zwischen Tradition und Zukunft«;
Gründerin und Inhaberin
von Rohnstock Biografien
Die Redaktion des VDG bedankt sich herzlich für die Zusammenarbeit.