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Portrait (VDGN 3/2020)

Rudi Knauer - von Deutschland bis Afrika

 

71 Jahre ist es her, dass Rudi Knauer den Beruf des Glasapparatebauers erlernt hat. In 47 Jahren Berufsleben änderte sich nicht nur einmal die offizielle Berufsbezeichnung, sondern auch seine beruflichen Aufgaben, Schwerpunkte und Arbeitsstellen. Mit Energie, Optimismus Arbeitsfreude und Abenteuerlust nahm er unterschiedlichste Stellenangebote von Deutschland bis Afrika an.

Glasapparatebläser - Glasbläser - Chief Technician - Glasinstrumentenmacher - Glasapparatebauer

47 Jahre übte ich einen Beruf aus, die Bezeichnung änderte sich öfter.

1949 hatte ich Glück bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle. Ich bekam einen Lehrver­trag als Glasapparatebläser bei der „Union Rheinische Braunkohlen Kraftstoff" in Wesseling bei Köln, 30 km vom Wohnort entfernt. Im Werk wurde aus Steinkohle Benzin gewonnen. Wir hatten die 6-Tagewoche, die wöchentliche Arbeitszeit betrug 48 Stunden. Die Erziehungshilfe belief sich im 1. Lehrjahr monatlich auf DM 35.-, im 2. Lehrjahr DM 49.- und im 3. Jahr DM 68.- . Jahresurlaub: 12 Tage. Meine erste Aufgabe als Stift bestand darin, das Glaslager aufzuräumen und zu sortieren. Verarbeitet wurde AR Glas, es gab aber auch noch ein Restsortiment Jenaer Gläser, die nach Farbe der aufgebrachten Streifen sortiert wurden. Die passende Berufsschule wurde auch nicht gleich gefunden, die ersten Monate ging es mit den Chemielaboranten nach Wesseling, dann nach Rheinbach zur Glasfachschule, bevor zum Glück noch die Werksberufschule Farbenfabriken Bayer in Leverkusen gefunden wurde. Ein knappes Jahr bekam ich dann doch noch den richtigen Lehrstoff vermittelt. Im Herbst 1952 erhielt ich den Facharbeiterbrief nach bestandener Prüfung von der Industrie- und Handelskammer Köln.

Am 29.12.1952 wechselte ich von Wesseling nach Leverkusen. Es war in jeder Beziehung ein sehr guter Schritt: Meister und Kollegen, die Werkstatt, von AR- Glasverarbeitung zu G20, die Aufgabenstellung. Der Weg zur Arbeit 30 km kürzer, alle Wege mit dem Fahrrad zu bewältigen.

Bayer Leverkusen
Teil der Belegschaft Karl Herb

 

Ich hatte plötzlich Freizeit, die ich für mich nutzen konnte. Dann, 1956 bekam ich die Adresse einer Glasbläserei in Johannesburg -Südafrika- von einem ausgewanderten Chemielaboranten zugeschickt. K. Herb und Co. suchte Glasbläser. Ich war gerade mal 21 Jahre alt und Afrika hatte schon seinen Reiz. Während eines feuchtfröhlichen Abends wurde eine Bewerbung aufgesetzt mit meinen Forderungen: Freiflug, finanziell haben wir mein momentanes Einkommen fast verdoppelt. Nach einer Woche kam zu unserer großen Überraschung die Zusage. Es gab nun kein Zurück mehr, ich gab die sogenannte Lebens­stellung zu Gunsten des Abenteuers auf.
Im September 1956 ging es mit dem Flugzeug nach Johannesburg. Und nun war alles anders. Gearbeitet wurde mit Propangas und Sauerstoff, die Düsen der Brenner mussten je nach Flammengröße gewechselt werden, es gab keinen Kühlofen. Büretten wurden einfach im Freien geätzt, zum Glück wurde nur Pyrexglas verarbeitet. Uns wurde dort erst einmal bewusst, wie gut wir durch unser duales System eigentlich ausgebildet waren.

Kalahari Highway
Krügerpark nördlichster Eingang

Nach einem Jahr flog ich im Urlaub nach Deutschland um zu heiraten. Meine jetzige Frau hatte sich gegen den Widerstand der Kirche durchgesetzt und ging eine Mischehe ein, sie war katholisch und ich evangelisch, ein Skandal!
In Südafrika galten die Apartheidgesetze. Wir hatten das zu akzeptieren oder konnten wieder zurück in unsere Heimatländer. Von den ersten Auswanderern nach dem Krieg hatten wenige Lust sich in die Politik des Landes einzumischen. Wir waren mit uns selbst beschäftigt, Fuß fassen, Existenz aufbauen. Jeder von uns ging mit den Gegebenheiten auf seine Weise um.
Das Land hat uns alle fasziniert, die Weite, Flora und Fauna sind beeindruckend.

1961 wurde mir bewusst, dass mir beruflich doch noch einiges fehlt. Über alte Verbindungen bewarb ich mich bei der Fa. Normag in Hofheim am Taunus. Im März 1961 trat ich die Stelle dort an. Hier lernte ich etwas über Schnelligkeit ohne sauberes Arbeiten zu vernach­lässigen. Damals wurden die Brenner umgestellt, alte Krachmacher raus, geräuschlose rein. Es wurde zum Kampf zwischen älteren und jüngeren Glasbläsern.
1963 fing es bei mir wieder an zu kribbeln, etwas Neues sehen und erlernen. Die Bergaka­demie Clausthal-Zellerfeld suchte einen Glasbläser für den Bereich Physikalisches Institut. Meine Bewerbung war erfolgreich, wir packten zusammen und zogen in den Harz.
Es gab Neues für mich, wie Glas-Metall und Glaskeramikverbindungen.  AR-Platinverbindungen waren mir bekannt, jetzt kamen Metalle wie Wolfram, Molybdän und Vacon mit den Zwischengläsern dazu. Zum Betreiben der Messestände unter Hochvakuum fertigten wir Quecksilberdiffusionspumpen an. Für die Anfertigung größerer Rezipienten stand eine Glasdrehbank zur Verfügung.  Oft wurden Apparaturen versilbert oder Flächen mit Zinnchlorid beleitfähig. Chef des Institutes war Prof. Mayer, bekannt als Dünnschichtmayer. Er konnte auch selbst Gasgeräte herstellen und seine Ansprüche waren dementsprechend hoch. Ich profitierte von der Zusammenarbeit mit Diplomanten und Doktoranten.

Im Juni1966 legte ich meine Prüfung als Glasinstrumentenmachermeister bei der Handwerkskammer Hildesheim ab. Für eine erhoffte Besserstellung in finanzieller Hinsicht reichte das aber nicht aus. Also begann ich wieder mich anderweitig umzuschauen. Bei einem internationalen Symposium der TU Clausthal Zellerfeld traf ich einen Professor aus Südafrika und durch seine Verbindungen ging der Weg wieder Richtung Afrika. Meine Frau war nicht sehr begeistert, zumal wir jetzt 3 Personen waren, ein Sohn war dazugekommen.
Im November 1967 flogen wir aber doch nach Johannesburg. Die Fa. K. Herb und Co nutzte ich als Sprungbrett, eigentliches Ziel: Council for Scientific and Industrial Research in Pretoria. August 1968 bekam ich die Stelle eines Chief Technician in der Abteilung Optics and Spectroscopy. Meine in Clausthal gewonnenen Kenntnisse über Glas- Metallverbindungen kamen mir jetzt zugute. Neu hinzu kamen Arbeiten am Induktionsofen. Mit Hilfe der mechanischen Werkstatt, die die benötigten Halterungen herstellte, konnte man Glas-Metallverbindungen in allen Größen und Formen herstellen. Interessant war auch die Anfertigung von Platten aus Bleiglas mit Öffnungen von 0,04 mm. Es gab ein Kernglas mit der Bezeichnung Corning RE-693. Als Mantelglas wurde Corning 8161 verwendet. Das Kernglas als Stab im Bleirohr mittels Hupe Ziehmaschine ausgezogen. Alles gebündelt und durch eine sechseckige Form nochmals durch Ausziehen auf den exakten Durchmesser gebracht. Die massive Platte wurde geschliffen und poliert, das Kernglas im Ultraschallgerät mit 1%iger Salpetersäure herausgelöst.

Reperatur eines CO2 Lasers
Technische Werkstatt Uni Kassel

Es wurde nie langweilig! Aber es gibt Zufälle, die man nicht vorhersehen kann. 1972 bekam Prof. Hölzl aus Clausthal einen Ruf der neugegründeten Gesamthochschule Kassel. Ich hatte viel für ihn gearbeitet und er bot mir an, dort eine Glasbläserwerkstatt einzurichten und zu leiten. Lehr- und Wanderjahre hatte ich eigentlich genug und eine neue Werkstatt nach meinen Plänen aufzubauen entsprach auch meinen Vorstellungen. Bei der Rückreise waren wir jetzt zu viert, in Pretoria hatte sich unsere Familie um eine Tochter vergrößert. Im September 1972 war Arbeitsbeginn bei der OE III, Mathematik und Naturwissenschaft. Allerdings war das Institut noch nicht fertig, ich saß anfangs in der Warmwasserverteilung. Nach diversen Umzügen landete ich aber doch in den richtigen Räumen und konnte mit dem Aufbau und Einrichten beginnen. Ein Mitarbeiter kam dazu, dann 3 Auszubildende. Ich wurde Mitglied im Prüfungsausschuss sowie im Personalrat der Uni Kassel. Zeitweise waren 5 Apparateglasbläser in der Werkstatt beschäftigt. Der Schwerpunkt unserer Arbeit verlagerte sich von der Physik, hin zur Chemie und Biologie. Ausgebildet wurde kontinuierlich weiter, einer der Azubis war auch ein gewisser Konstantin Kraft. 29 weibliche und männliche Azubis haben das Handwerk in der Werkstatt der Uni Kassel erlernt.

Allerdings erlebte ich den letzten Abschnitt nicht mehr mit, 1996 setzte eine Hirnblutung meiner Laufbahn ein abruptes Ende. Michael Meyer übernahm und leitet seitdem die Glastechnische Werkstatt. Ich staune über die rasante Entwicklung, die der Beruf zurzeit nimmt. Ich bewundere die jungen Leute, wie selbstverständlich sie sich während eines Workshops an ein Gebläse setzen und Glas be- oder verarbeiten. Das gibt mir die Gewissheit, dass unser Beruf eine gute Zukunft hat!

Rudi Knauer damals wie heute: „Unser Beruf hat eine gute Zukunft“