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Michael Leeder

Von Australien zur Ausbildung in die Staatliche Fachschule Weilburg-Hadamar

 

Eine exotische Geschichte auf die man stolz sein darf. Die Glasfachschule Weilburg-Hadamar erreichte im Jahr 2019 eine Mail aus Australien. Es war die Bewerbung eines jungen Mannes, in der er um eine Ausbildung zum Glasapparatebauer bat. Sein Wunsch ging in Erfüllung. Michael Leeder lebt heute wieder in Brisbane und erzählt auf den folgenden Seiten, wie und warum er nach Deutschland kam, was er heute macht und wie er sich seine Zukunft vorstellt.

VDGN 3/2021

Erst mal alles andersrum

So wie es sich aus unserer Sicht mit der geographischen Lage Australiens verhält, so umgedreht begann auch die Geschichte dieses Berichtes. Bildlich liegt für uns Australien irgendwie unten und so beginnt dieser Bericht tatsächlich mit seinem Ende, denn von dort aus kam erst im zweiten Schritt seiner Bearbeitung, der Anfang dieser Geschichte zur Redaktion des VDG.
Es ist schon beinahe zur Gewohnheit geworden: Immer wieder mal, wenn die Neugierde zu groß wird, meldet sich die Redaktion bei den Schulen und informiert sich über Aktuelles. Solche Gespräche, die auch nicht selten mit einer Mail ihren Anfang finden, können einen Redakteur durchaus sehr neugierig machen. Ein Australier hat seine Ausbildung in Hadamar gemacht und sei nun wieder zurück nach Hause. Fragen über Fragen wirbelten durch meinen Kopf. Haben wir doch selber, allerdings vor über 20 Jahren, als junge Familie für mehrere Monate Down Under durchquert, dort Glasbläsereien besucht und interessiert nachgefragt, wie es denn dort so mit Arbeitsmöglichkeiten aussieht. Durchaus hätte ich mir vorstellen können dort eine Stelle anzunehmen. Ich war damals noch jung, vieles hatte ich nicht verstanden und stand zugleich in der Verantwortung eines jungen Familienvaters. Wie wird die Welt des Glasapparatebauers wohl heute dort aussehen? Ich möchte gerne mehr über den jungen Glasbläser-Kollegen erfahren.


Michael Leeder geht als Glasapparatebauer zurück nach "Down Under"

Unser Schüler mit der wohl weitesten Anreise kehrt erfolgreich zurück nach Australien. Michael Leeder begann im September 2019 an unserem Standort, Staatliche Fachschule Weilburg-Hadamar, eine Ausbildung im Glasapparatebau. Er startete mit nur wenigen Deutschkenntnissen, ohne staatliche finanzielle Unterstützung aber dafür mit umso mehr Durchhaltevermögen und Talent! Am 04.02. legte Michael Leeder erfolgreich seine Abschlussprüfung zum Glasapparatebauer ab Aus Glasröhren, -stäben und -kolben fertigen Glasapparatebauer/innen eine Vielzahl von Geräten, die in naturwissenschaftlichen Laboratorien und Versuchsanlagen sowie in der Medizin benötigt werden. Mit dem Abschlusszeugnis in der Tasche konnte Michael Leeder seine Heimreise nach Australien antreten. Wir sind stolz auf eine solch außergewöhnliche Erfolgsgeschichte!

 

Seine Klassenkameraden standen ihm immer zur Seite, Michael in der Mitte seiner Mitschüler

 

 

 

Der Kontakt der Redaktion zu Michael

Nach diesen Worten war es für mich unausweichlich! Meine Fragen brauchen Antworten. Über die Schule konnten wir mit ihm in Kontakt treten und so schrieb ich ihm, mit der Bitte mehr über ihn erfahren zu dürfen. Keine zwei Tage später bekam ich eine nette Antwort und die Bereitschaft mit uns zusammenzuarbeiten.

 

Ein Bericht von Michael Leeder:

Als Kind sagte mir meine Mutter oft, dass ich ein guter Sanitäter oder Glasbläser werden würde. Dabei weiß ich gar nicht so richtig warum, denn als Kind hatte ich wenig Ahnung davon, was ein Glasbläser eigentlich jeden Tag macht, ich stellte mir vor, er würde große Vasen und Leuchten herstellen und das war's. Auch hat mich diese Vorstellung zu dem Berufsbild nicht besonders angesprochen. Erst als ich viel älter war, wurde mir klar, dass es auch andere Arten des Glasblasens gibt.
Was den Sanitäter betrifft so bin ich mir nicht sicher, ob das wirklich das Richtige für mich gewesen wäre, auch wenn ich ein ruhiger Typ bin und mich Wunden auch keineswegs in die Übelkeit zwingen. Ich denke auch, dass mir die Arbeit auf Dauer emotional zu belastend gewesen wäre. Doch viele Jahre später im Jahr 2015 begann ich damit, mir den Beruf des Glasbläsers genauer anzuschauen. Ich wurde neugierig und stöberte im Internet. Als ich online nach Ausrüstung suchte, fand ich eine Website namens ‚Devardi Glass‘, die günstige Anfänger-Kits verkauft. Jetzt begann mein Start in die Glasbläserwelt, denn dort kaufte ich mir meine ersten Werkzeuge und einen Brenner.
Da es keine Lehrer in der Nähe gab, musste ich mir alles selbst beibringen und das tat ich, indem ich Tutorial-Videos auf Youtube ansah. Natürlich kaufte ich mir damals einen kleinen Brenner von Devardi.com, der nur Propan zum Arbeiten benötigte, aber ich wuchs schnell aus dessen Reichweite heraus und kaufte einen kleinen Brenner von Glasstorchtech.com. Ein ganz anderes Geschoss, denn dieser Brenner benötigte nun Sauerstoff und Propan. Das Problem Sauerstoff musste ich natürlich auch lösen, denn Flaschensauerstoff ist ziemlich teuer, also kaufte ich mir einen Sauerstoffgenerator, der 10 l Sauerstoff pro Minute erzeugen kann. Mittlerweile habe ich mir in meiner Garage eine kleine Werkstatt eingerichtet, die alles beinhaltet, was ich so für meine Nebentätigkeiten benötige: Tisch, Glas, Ofen, Brenner, Gas und Sauerstoff.


Der Weg nach Deutschland

Aber nun erst mal wieder zurück zu der Frage, warum und wie ich nach Deutschland kam. In Australien gibt es nur sehr wenige Möglichkeiten, den Beruf des Glasapparatebauers zu erlernen. Eine Möglichkeit wäre es, in eine Glasbläserfamilie hineingeboren zu werden und von deinen Eltern zu lernen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, viele Jahre zu warten, bis eine Stelle ausgeschrieben wird, aber davon hörte ich bis jetzt nur ein einziges Mal. Und das wäre es dann auch schon, soweit ich weiß. Eine weitreichendere Möglichkeit und die einzige für mich sinnvolle war, Australien zu verlassen und im Ausland eine Ausbildung zu beginnen, denn es gibt in Australien keine Glasfachsschulen oder Universitäten, die eine Lehre anbieten. Auf meiner stetigen Suche fand eine Gruppe von Glasapparatebauern und nahm an einer ihrer jährlich stattfindenden Fachtagungen teil. Es war der australische Glasbläserverband, den es leider nicht mehr gibt.
Kurz nachdem ich an ihrem Jahrestreffen teilgenommen hatte, beschloss der Fachverband sich aufzulösen, denn jedes Mitglied (bis auf eines) war in den 70ern oder älter und bereit, in Rente zu gehen. Mit nur einem jungen Mitglied kann man einen Fachverband leider nicht voranbringen. Dieser Zustand ist sehr bedauerlich, denn dadurch wird in den kommenden Jahren viel Wissen verloren gehen. Auf meine Frage, ob es vielleicht jemanden gäbe, der mich ausbilden könnte, erntete ich nur die Antworten, dass sie weder die Zeit noch das Geld hätten, um mich auszubilden zu können, obwohl sie sich das sehr wünschen würden. Sie dachten, der beste Weg, diesen Beruf zu erlernen, sei nach Europa zu gehen.
Wie der Zufall es wollte traf ich genau auf dieser Veranstaltung einen jungen Glasbläser aus Deutschland, Peter Rotner, der damals ganz frisch seinen Abschluss als Glasapparatebauer an der Glasfachschule in Zwiesel hinter sich gebracht hatte und nun durch ganz Australien reisen wollte. Überall dort, wo es ihm möglich war, wollte er als Facharbeiter in meinem Heimatland ein bisschen Geld verdienen, um seine Abenteuer besser finanzieren zu können. Was gibt es da besseres als eine Glasbläsertagung, um Kontakte zu knüpfen. Peter erzählte mir von der Zwiesler Glasfachschule und schlug mir, mit viel Energie vor, mich dort als Azubi zu bewerben. Das tat ich und 6 Wochen später erfuhr ich, dass sie keinen Platz mehr für einen neuen Schüler hatten. Also suchte ich nach anderen Schulen in Deutschland und fand eine Glasfachschule in Hadamar. Ich schickte eine E-Mail, in der ich mich vorstellte, und kurz darauf erhielt ich einen Brief zurück, in dem stand, dass ich gerne als Auszubildender gesehen wäre. Vier Wochen später war ich in Deutschland.
Peter Rotner arbeitet sich als Glasbläser durch Australien und Neuseeland

In Lichtgeschwindigkeit nach Deutschland

Meine Reise von Australien nach Deutschland war sehr stressig, ich hatte weniger als 4 Wochen Zeit, um ein deutsches Studentenvisum zu bekommen, aus meiner Wohnung auszuziehen und eine Unterkunft in Deutschland zu finden. Der Papierkram war ein Albtraum, aber irgendwie haben wir es geschafft. Zudem war ich damals auch bereits verheiratet und leider konnte ich nicht gemeinsam mit meiner Frau nach Deutschland gehen. Wir wollten uns alle 6 Monate besuchen, aber kurz nach meiner Ankunft passierte Covid und wir konnten uns nicht mehr sehen. Wir waren 2 ½ Jahre getrennt.

 

 

 

Mein erster Tag in Hadamar

Mein erster Tag in Hadamar war überwältigend, ich kam an der Schule an und zum Glück war die erste Person, die ich traf, mein Lehrer und Mentor Mario Pohlmann, obwohl wir uns nicht leicht verständigen konnten, wusste er, wer ich war, und fuhr mich zu meiner Wohnung, wo wir uns auch mit meinem neuen Vermieter trafen.
Der Theorieunterricht war eine große Überraschung für mich. Mir war nicht bewusst, dass es Unterricht in Mathematik, Naturwissenschaften, Ethik, Politik usw. geben würde. Zunächst einmal funktionierte der Theorieunterricht nicht! Wie auch, ich konnte einfach nichts verstehen und darum fiel ich in den ersten Monaten im Unterricht durch. Ich habe ungefähr 1 Jahr gebraucht, bis ich genug verstehen konnte, um die Tests zu bestehen. Die meisten meiner Klassenkameraden sprachen recht gut Englisch, was die Kommunikation erleichterte und wenn ich wirklich eine Übersetzung brauchte, waren meine Freunde immer bereit zu helfen.

Mein Deutsch musste unbedingt besser werden!

Nur hatte ich kein Geld für einen Sprachunterricht und der kostenlose Unterricht, den der Staat anbot, war nur für Flüchtlinge. Also nutzte ich zur Verbesserung meiner Sprachkenntnisse Telefon-Apps, benutzte und schrieb Listen mit Wörtern zum Auswendiglernen. Deutsche Hörbücher halfen auch sehr. Als ich Deutschland verließ, konnte ich fast alles verstehen, was um mich herumgesprochen wurde, jedoch fand ich das Sprechen sehr schwierig, da ich von Natur aus ein ruhiger Mensch bin.

Die Finanzierung des Aufenthaltes in Deutschland

Ich bin mit genug Geld für 2 Jahre Miete und Essen nach Deutschland gekommen. Und um das 3. Jahr zu finanzieren, hatte ich geplant, die Glaskunst zu verkaufen, die ich nebenbei machen würde. Mein Lehrer Mario Pohlmann war in dieser Hinsicht ein Lebensretter, er hat mir hier und da Gelegenheitsjobs vermittelt und bezahlte Arbeit in den Sommerferien organisiert.

 

 

 

 

Labglass Firmengelände
Blick in die Werkstatt

Wieder Zurück nach Australien

 
Die Rückkehr nach Australien war immer der Plan, meine Frau, mein Hund, meine Freunde und meine Familie warteten alle darauf, dass ich nach Hause zurückkehrte, und ich hatte großes Heimweh. Ich fühlte mich, als hätte ich die Sonne jahrelang nicht gesehen. Aber in Zukunft würde ich gerne mit meiner Familie nach Deutschland zurückkehren und Arbeit finden.
Seit meiner Rückkehr arbeite ich bei der Firma Labglass, denn noch vor meiner Ausbildung in Deutschland lernte ich auf dem zuvor beschriebenen Glasbläsertreffen Graham Wolfe kennen, den Geschäftsinhaber der Firma Labglass. Er bot mir eine Stelle in seiner Firma an, sollte ich meine Ausbildung in Europa abgeschlossen habe. Im Moment erledige ich dort kleinere Aufgaben. Mein Chef kümmert sich um die größeren Arbeiten, wie Flansche und große Kolben. Ich weiß nie, was mein nächster Job sein wird. Ich arbeite genauso oft an der Werkbank wie an der Drehbank. Einige meiner jüngsten Arbeiten waren Aufschlussrohre, Soxhlet-Destillationsapparate, Markham-Semi-Mirco-Destillationsapparate und einige kleine kundenspezifische 4-mm-Anschlüsse. Das Unternehmen stellt auch zertifizierte Messlibellen in allen Formen und Größen her. Es gibt eine kleine Werkstatt im Erdgeschoss, Büro und Lagerraum im Obergeschoss, 6 Drehbänke, 5 Bänke, Diamantsäge, Schleifscheiben. Das Unternehmen beschäftigt derzeit 7 Mitarbeiter, davon 4 Glasbläser.
https://www.truelocal.com.au/business/labglass-pty-ltd/stafford
 

Wäre eine Rückkehr nach Deutschland denkbar?

Sicherlich wäre es interessant gewesen in Deutschland zu bleiben, aber meine Frau davon zu überzeugen, nach Deutschland zu ziehen, könnte eine schwierige Aufgabe werden. Europa ist wunderbar! Es hat so viel Geschichte und Kultur. Nur ein paar Stunden fahren und man findet sich in einem völlig anderen Land wieder. In Australien dauert es knapp 50 Stunden, um von einer Seite zur anderen zu gelangen. Hinzu kommt, dass es in Australien nur sehr wenige Stellenangebote gibt. Soweit ich weiß, gibt es in Australien weniger als 20 Glasbläser. Und nur einer davon arbeitet an einer Universität. Auf jeden Fall halte ich Kontakt zu meinen Glasbläserfreunden in Deutschland. Es wird großartig werden, wenn ich sie in Zukunft mal wieder persönlich sehen kann.
 

Blick in die Zukunft

Bei so hohen Immobilienpreisen wie in Brisbane werde ich niemals in der Lage sein, als Angestellter ein Haus zu besitzen. Sobald ich also genug von diesem Beruf lerne, werde ich mein eigenes Unternehmen gründen und auf die Selbstständigkeit hinarbeiten. Meine Frau und ich hätten gerne Kinder, vielleicht lieben sie Glas genauso wie ich und ich kann ihnen alles beibringen, was Frank Ballowitz und Mario Pohlmann mir beigebracht haben.Und da sind wir auch schon wieder bei den Möglichkeiten in Australien Glasbläser werden zu können. Wie anfangs erzählt, wäre es vielleicht die für meine Kinder, in eine Glasbläserfamilie hineingeboren zu werden und von ihren Eltern zu lernen.

 

LABGLASS PTY LTD

Labglass ist ein in Brisbane ansässiger Hersteller von wissenschaftlichen Glaswaren in Familienbesitz. Das Unternehmen wurde am 15. Februar 1971 von einem englischen Glasbläser, dem verstorbenen Mr. Albert Fletcher gegründet, der Labglass am 24. Januar 1994 an Graham und Karen Wolfe verkaufte. Graham war vor dem Kauf des Unternehmens seit dem 6. Januar 1992 Manager des Unternehmens und seit dem 3. Dezember 1973 Handelsvertreter für Labglass-Händler. Labglass stellt ein umfangreiches Sortiment an wissenschaftlichen Standardprodukten sowie kundenspezifische Glaswaren her. Seit 1971 stellt das Unternehmen eine Reihe von Wasserdestillierapparaten her und liefert weiterhin ein komplettes Ersatzteilset für jedes Modell, dass das Unternehmen jemals hergestellt hat. Neben der Herstellung vertreibt Labglass für mehrere große europäische und britische Unternehmen. Die Kunden des Unternehmens befinden sich in ganz Australien und auf der ganzen Welt. Die bei Labglass beschäftigten Glasbläser kamen im Laufe der Jahrzehnte aus vielen Ländern der Welt.Die aktuellen Glasbläsern kommen aus Großbritannien, den Philippinen und Australien.

 

 

 

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