VDG-Nachrichten 01/2021
T(h)eeater mit der Kanne
Die Anfragen kommen nicht mehr so oft wie früher. Wohl auch, weil ich den Einstiegspreis, egal um welchen Prototypen es sich handelt, sehr hoch ansetze. Worum es geht? Design! An der Fachhochschule in Münster wird dieser Studienzweig angeboten. Als die Anfragen noch häufiger kamen habe ich den Preis immer zu niedrig kalkuliert. Der Teufel steckt bei diesem Thema im Detail. Ein Bogen von 30° lässt sich normalerweise gut machen, aber es kann manches Mal sehr schwierig sein, diesen während der Arbeit zu messen. Und: Designer sind keine Handwerker und lernen in ihrem Studium nur einen Bruchteil der Praxis kennen. Daher sind Toleranzen für sie ein Fremdwort.
Design ist wichtiger als man glaubt. Als ich vor vielen Jahren auf dem Weihnachtsmarkt verkaufte, waren darunter auch Serien von, in meinen Augen, gleichen Gläsern. Aber einige Gläser blieben immer stehen. Ein „gleiches“ daneben gestellt, wurde verkauft. Der Unterschied war kaum zu sehen, doch er war kaufentscheidend!
Design ist also wichtig, macht aber bei einem Prototyp viel Arbeit. Studierende haben in der Regel kein Geld und ich bin keine soziale Einrichtung, muss von meiner Arbeit leben. Und eines müssen Design-Studierende lernen: Ein Prototyp kann auf keinen Fall billiger hergestellt werden als das Objekt kostet, wenn es später in Mengen produziert wird. Ein Prototyp kostet ein Vielfaches davon. Ist auch ein Vielfaches an Arbeit.
Nun kamen eines Tages zwei Studentinnen wegen solch einer Arbeit in meine Werkstatt. Sie wollten den Prototyp einer Teekanne. Als sie mein Preisangebot mit dem nach oben offenen Kostenbudget wahrnahmen, brach eine Welt zusammen. Beide haben in anderen Glasbläsereien nachgefragt, aber niemand wollte ihr Projekt umsetzen. Sechs Wochen sind sie durch Deutschland
gefahren und haben unterschiedliche Handwerksbetriebe besucht (siehe QR-Code). Ich habe die Teekanne für einen schmalen Euro trotzdem gefertigt, da wir uns gut verstanden haben und weil ich auf zwei Personen traf, die mit beiden Beinen im Leben standen. Außerdem sah ich in dem Projekt viel Potenzial für mich zum Lernen.
Die Kanne sollte es Menschen mit einem Handicap ermöglichen, gut dreiviertel des Inhalts der Kanne auszuschenken, ohne diese anzuheben. Dazu sollte die Teekanne sich später in eine Korkschale einfügen, durch die die Abrollfunktion gegeben wäre. Die Kanne war keine Kugel, auch keine Ellipse, sondern besaß in ihrer Form auf 20 mm eine gerade Fläche. Ich bat meine Auftraggeberinnen, mir eine 10 mm starke Form aus Birnenholz zu besorgen, damit ich, auf der Drehbank, einen heißen Glaskörper daran entlanglaufen lassen kann. Frei Hand sah ich keine Möglichkeit. Der Durchmesser der Kanne war 145 mm.
Mit einer Holzschablone hatte ich an der Bank noch nie gearbeitet, eine Kohleschablone war aber zu teuer und eine Holzschablone konnte die Werkstatt an der Fachhochschule anfertigen. Birnenholz gab es dort leider nicht, man hat aber ein anderes Hartholz genommen und die Form mittels CNC-Fräse erstellt. Eine Woche habe ich die Form mit Wasser getränkt, in der Hoffnung, dass diese dadurch einen Arbeitsvorgang übersteht. Ich hatte noch ein 85er dickwandiges Rohr, nicht ideal aber machbar. Und es ging wirklich aber die Form war danach hinüber. Ich habe diese immer wenn das Glas weich war, mit Wasser besprüht. Eine Holzform bei diesen Temperaturen ist mehr als grenzwertig. Was mich aber wirklich erstaunte, alles ging mit einem einzigen Brenner.
Designer haben genaue Maßvorstellungen, die sich auf dem ersten Blick nicht erschließen
Der Ausguss war ein Problem. Ihn direkt aus der Masse der Kanne herauszuziehen verwarf ich. Es war einfach nicht genug Glasmasse vorhanden. Da der Ausguss über die Kanne nach oben hinausragte, musste ich ihn erst verkürzt ansetzen und später verlängern. Damit ich die Bedingungen der Kannenöffnung einhalten konnte, war ein Schleifvorgang erforderlich. Mit überstehendem Auguss war das mit meinen Maschinen nicht zu machen.
Der Griff war für mich eine Herausforderung
20 mm sollte er breit sein, 10 mm dick, damit er sich für den Nutzer griffig anfühlte. Abgesehen davon war er von der Statik her schon eine gewagte Konstruktion. Es brauchte mindestens 5 mm Wandstärke am Kannenansatz, die ich natürlich nicht hatte. Aber es ging ja erst nur um einen optischen Prototyp. Ich hatte aber auch keinen Stab 20 x 10 mm. Aber eine Borosilikat-Glasscheibe von 5 mm Dicke. Davon zwei Streifen und dann im Ofen zusammenfügen, das könnte gehen. Ich habe einige Erfahrung mit Fusing Arbeiten, aber nicht mit Borosilikatglas. Also habe ich einfach über den Daumen gerechnet, zwei Streifen aufeinander in den Fusingofen, auf 900° C hochgefahren und eine Stunde dort gelassen. Die Streifen sollten sich nicht an den Kanten abrunden, sondern Plan bleiben. Zwischendurch kurz hineingeschaut, dass heißt nein, habe ich nicht gemacht. Sondern den Fusingofen ein klein wenig und kurz geöffnet, ein Bild mit dem Handy gemacht und den Ofen sofort wieder geschlossen. Das dauert keine 2 Sekunden und die Temperatur fällt nicht ab. Das Bild auf dem Handy kann ich mir dann so lange anschauen wie ich will und wichtig, ich kann es vergrößern! Aber es sah nicht gut aus. Man erkannte immer noch ganz deutlich zwei Glasstreifen, es schien sich nicht zu verbinden. Nach dem Erkalten stellte ich jedoch fest, dass man nur von der Seite sehen konnte, dass es zwei Scheiben waren. Als ich den Glasblock auf Länge sägte und von jeder Seite 5 mm abtrennte, war allerdings überhaupt nicht mehr zu erkennen, dass es einmal zwei Glasstreifen waren. Ich war erstaunt. Mit 900° und einer Stunde halten hatte ich einen Glücksgriff getan.
Den Glasgriff brachte ich mit einem Tischofen auf Temperatur und schmolz einen 6mm Glasstab zum Halten an. Die matten Ränder vom Sägen und leichten Strukturen vom Fusingofen auf der Oberfläche ließen sich mit der Flamme leicht klar und plan schmelzen. Das Ansetzen des Griffes an den Glaskörper war nicht ideal. Der Glaskörper war für den dicken Griff einfach zu dünn. Ich musste ein wenig „pfuschen“. Aber wie heißt es so schön: „Pfusch gehört zum Handwerk, muss nur gut sein“.
Am oberen Ende der Kanne habe ich das Glasrohr abgezogen und leicht geöffnet. Ich habe darauf geachtet, dass der Rohrdurchmesser beim Abziehen unter 62 mm lag, denn 62 mm war die vorgegebene Öffnung oben an der Kanne. Durch Herunterschleifen konnte ich die Öffnung aus der Kugel heraus auf genau 62 mm bringen. Das Schleifen allein hat aber schon eine gute Stunde gedauert. Meine „Lieblingsarbeit“.
Die Kanne nahm Formen an und erfüllte die Anforderungen des Designs. Jetzt musste nur noch der Boden gefertigt und dann der Ausguss auf Länge gebracht werden. Die Größe der Teekanne ermöglichte es mir trotz der gegenüberliegenden Ansätze, diese in ein Dreibackenfutter einzuspannen.
Beim Fertigen des Bodens, Auflagefläche 60 mm Ø unterlief mir allerdings ein dummer Fehler. Durch das Einengen des 85er Rohres auf 60 mm war es wohl zu dünn geworden und beim Abziehen war die Flamme zu stark eingestellt. Es entstand ein Loch. Ich erweiterte es und setzte ein neues Rohr an. Das hatte, allem Ärger zum Trotz den Vorteil, dass ich genug Glas hatte den Boden dickwandig auf genau 60 mm zu bringen.
Zum Schluss habe ich noch die Tülle verlängert, wobei auch hier genaue Maße einzuhalten waren. Die Tülle wurde vor dem Ansetzen der Verlängerung noch einmal im richtigem Winkel gesägt. Mit der richtigen Flamme wurde dieser Sägeschnitt von Matt auf Klar „getrimmt“, damit beim Ansetzen der Verlängerung kein Ansatz zu sehen ist.
Den Hintergrund dieses Designs habe ich zu Anfang schon erwähnt, trotzdem hier noch einmal:
Durch die Form und durch einen Ausguss der nach oben über die Kanne hinausragt, ist man in der Lage dreiviertel des Inhaltes in eine Tasse zu gießen, ohne dass die Kanne angehoben werden muss. Das ist für Menschen mit einem Handicap, die nicht mehr schwer heben können, ein großer Vorteil.
Ich war und bin sehr glücklich diese Teekanne gefertigt zu haben. Ich habe dabei sehr viel gelernt. Besonders das Fusen von Borosilikatglas hat mich sehr viel gelehrt. So lassen sich wahrscheinlich auch Glaswannen verschmelzen, ohne dass man überhaupt eine Flamme braucht. Es gibt also noch einiges zu tun. Ich bin mal gespannt. Dass ich nebenbei noch zwei Menschen glücklich gemacht habe ist ein wunderbarer Nebeneffekt. Und denen gilt mein besonderer Dank. Denn ohne deren „verrückte“ Ideen, hätte ich diese Teekanne nie gefertigt.
Die Teekanne hat beim UNIVERSAL DESIGN AWARD 2021 zwei Preise erhalten. Sowohl in der Kategorie „Expert“ als auch „Consumer“ überzeugte sie. Besonders gelobt wurde die praktische Umsetzung aus Glas, von der die Jury nachhaltig beeindruckt war.
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CZI Glasbläserei
Karin Rein und Thomas Nieß
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